Berlin-Peking 2019 – Etappe 10

Pferdegeige und Obertongesang in der mongolischen Steppe

Liebe Reisefreundinnen und Reisefreunde,

willkommen zu einer weiteren Etappe unserer Reise durch den wilden Osten. Eigentlich muss der Titel jetzt umgedreht werden und „Peking – Krakau“ heißen, denn wir befinden uns inzwischen auf der Rückfahrt und unser neues Ziel lautet Krakau. Wir passieren die chinesisch-mongolische Grenze und nähern uns nach und nach unserem Etappenziel Ulan Bator oder Ulaanbataar, wie die Einheimischen mit der Betonung auf der ersten Silbe sagen. Die Mongolei ist das am dünnsten besiedelte Land der Erde (1,9 Menschen/qkm) und 4,5 Mal so groß wie die Bundesrepublik. Unsere Neugier, diese unberührten Landschaften zu durchfahren, ist dementsprechend riesig. Natur pur erwartet uns im Terelj-Nationalpark, aber vor uns liegt jetzt erst einmal der Grenzübergang.

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Chinesisch-mongolische Grenze

Wir brechen um 8.30 Uhr von unserem Hotel in Erenhot auf und fahren im Konvoi zur Grenze. Sie liegt eigentlich nur einen Steinwurf entfernt, aber zahlreiche Höhenbegrenzungen, die wir mit unseren Wohnmobilen nicht passieren können, versperren uns den direkten Weg. Yongzhi, unser chinesischer Führer, der uns noch bis an den Grenzzaun begleitet, ist tiefenentspannt. Er hat die Listen mit den Fahrzeugdaten schon vorab an die Behörden weitergegeben. Die Beifahrerinnen und Beifahrer gehen zu Fuß zur Passkontrolle. Die Fahrer lassen erst ihre Pässe stempeln, dann werfen die freundlichen Zöllner einen kurzen Blick in die Fahrzeuge. Das war’s dann auch schon: Nach knapp zwei Stunden ist alles erledigt.

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Auf der mongolischen Seite angekommen

Auf der mongolischen Seite empfängt uns Mende, der sich um die Papiere kümmert. Auch hier geht es ganz entspannt zu. Rund zwei Stunden später stehen alle Fahrzeuge aufgereiht vor den etwas baufälligen mongolischen Zollgebäuden. Ein völlig anderer Eindruck als in China, wo die Zollgebäude neu aus dem Boden gewachsen sind. Jetzt haben wir auch Zeit unsere neuen Local Guides Ugi und Nyamaa kennenzulernen. Sie werden uns gemeinsam mit ihrem Fahrer Amran durch ihr faszinierendes Land begleiten. Vor der Ausfahrt aus dem Grenzort decken sich einige von uns noch mit Proviant ein, denn die Wüste Gobi wartet auf uns.

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Stellplatz Gobi/Zamyn-Üüd

Eigentlich wäre Steppe der bessere Begriff, denn der trockene Boden ist überzogen mit kleinen Gräsern und Kräutern. Sie fangen jetzt, wo es ab und an zu regnen beginnt, an zu grünen. Unser erster Stellplatz abseits der Zivilisation wird überspannt von einem großartigen Himmel. Tolle Wolkenformationen rasen förmlich über uns dahin, denn es bläst ein ordentlicher Wind, der den aufgewirbelten Staub durch die Ritzen unserer Womos kriechen lässt. Zum Glück dauert das Spektakel nicht allzu lange an und wir können ruhig schlafen. Wer gegen Mitternacht einen Blick aus dem Wagen wirft, wird mit einem für uns seltenen Schauspiel belohnt: Schon einen Daumenbreit über dem Horizont flackern die Sterne am Himmel. Weder Smog noch Feuchtigkeit stören den Blick durch die Atmosphäre.

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Ein Kamel auf der Straße

Wir fahren von unserem Stellplatz abseits der Landstraße zurück auf unsere Route Richtung Ulan Bator. In einiger Entfernung entdecken wir die Schienen der Eisenbahnlinie Peking-Ulan Bator, die in mehr oder weniger Abstand parallel zu unserer Strecke verläuft. Sie zieht sich durch die Steppe. Auf unserem Weg nach Westen wird es langsam hügeliger. Hirten treiben ihre großen Ziegen- und Schafherden über die Straße – nicht mehr nur mit Pferden, sondern häufig auch per Motorrad. Wie aus dem Nichts tauchen auch immer wieder Kamele auf der Fahrbahn auf und veranlassen die Lkw-Fahrer zu langen Hupkonzerten.

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Das ist ein Owoo

„Was ist das denn für ein komischer Hügel?“ Am rechten Straßenrand erhebt sich ein etwa anderthalb Meter hoher Steinhaufen mit blauen Tüchern und Plastikfolien. Oben drauf liegen einige runde Reifen, die früher offenbar als Lenkradschoner gedient haben. Daneben steht ein blauer Metallkasten mit einem Deutschlandschild, das unter dem „D“ die Aufschrift „Itzehoer Versicherungen“ trägt. Scheinbar reicht der Arm der PR-Abteilung der schleswig-holsteinischen Versicherung bis in die Mongolei. Einige Meter weiter liegen verschiedene Arten von Krücken zwischen ausgetrunkenen Wodka-Flaschen und einem alten Steuerrad. „Ist das ein Mahnmal gegen Alkohol am Steuer?“, fragen wir uns. Nein, Nyamaa klärt uns später auf: „Das ist ein Owoo!“ Owoos sollen böse Geister abwehren und die Erbauer dieser Steinhaufen vor Unfällen schützen. Vor allem Lkw-Fahrer spenden eifrig Utensilien.

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Kein Wassertanken ohne die blaue Karte

In Saynshand, einer kleinen Stadt auf unserer Route, können wir unsere Vorräte auffüllen. Zuerst rollen wir auf Staubstraßen mitten durch ein Wohngebiet zu einer Wasserzapfstelle. Hier versorgen sich die Bewohnerinnen und Bewohner der umliegenden Häuser, und auch wir dürfen den Schlauch in unseren Tank halten. Ohne die nette Mongolin, die sofort aus dem Haus stürmt um uns zu helfen, geht aber gar nichts. Das Wasser läuft nur, wenn man Besitzer der blauen Karte ist, die in den Schlitz neben dem Hahn geschoben werden muss.

Jetzt muss noch Diesel aufgefüllt werden, und danach steuern wir die Gastankstelle an. Vor dem Befüllen werden die Flaschen gewogen, damit nicht zu viel Flüssiggas hineingepresst wird. Selbst der richtige Adapter für die deutschen Gasbehälter ist vorhanden. Fünf Kilogramm kosten 13.000 Tughrik, umgerechnet etwa 4,50 Euro.

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Der Zauber der Pferdegeige

Auf unserem Stellplatz in der Steppe kurz hinter Airag ist erst einmal Chillen und Grillen angesagt. Das Fleisch haben wir in einer Schlachterei in Saynshand eingekauft: Lamm, das sich als sehr schmackhaft, aber etwas fest entpuppt. Um 20.30 Uhr geht der Vorhang für ein besonderes Ereignis auf: Nyamaa ist von Beruf Musiklehrer und bringt Grundschulkindern in Ulan Bator das Spiel auf der Pferdekopfgeige bei. Für seine Vorstellung wirft er sich in sein mongolisches Festtagsgewand. Eine Ausstattung, die alle Mongolinnen und Mongolen zu Hause haben. Dann klemmt er sich die zweiseitige Geige zwischen die Beine, streicht mit dem Pferdehaarbogen über die Pferdehaarsaiten. Dazu stimmt er noch einen Obertongesang an, der auf besondere Weise mit dem Kehlkopf erzeugt wird. Selbst ein kleiner Regenschauer kann uns den Hörgenuss nicht vermiesen. Als er sein Konzert beendet, werden Zugabe-Rufe laut, und da lässt er sich auch nicht lange bitten…

Auf der Asphaltpiste, die mit unzähligen Schlaglöchern übersät ist, setzen wir am nächsten Tag die Reise fort. Die Route lässt sich einfach verfolgen, aber von den Fahrerinnen und Fahrern wird höchste Konzentration gefordert. Fast alle Autos, die uns begegnen, haben Linkssteuerung, obwohl in der Mongolei rechts gefahren wird. Ugi, unser Führerin, die ihr perfektes Deutsch beim Studium in Stuttgart gelernt hat, erzählt uns warum: Es handelt sich um gebrauchte Autos aus Japan, die offenbar besonders preiswert zu importieren sind.

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Unimog im Dreck…

Als wir uns unserem Stellplatz nähern, sehen wir schon von fern, dass es ein Problem gibt. Einer unserer Mitfahrer hat sich festgefahren. Der Untergrund ist tückisch: Die Grasnarbe gaukelt festen Boden vor, aber darunter ist nichts als Matsch. Das schwere Gefährt versinkt während der Bergungsversuche immer weiter im Morast. Selbst ein schwerer Radlader schafft es unter Mithilfe eines vierradgetriebenen Lkw nicht, den Unimog herauszuziehen. Erst ein sogenannter ZIL-131, ein schwerer russischer Militär-Lkw mit einer kräftigen Seilwinde, schafft es nach Stunden, den Steckenbleiber aus seiner misslichen Lage zu befreien. Viele emsige Helfer haben mit guten Ratschlägen und Schaufeln bei der Aktion mitgeholfen. Zu guter Letzt spritzt die örtliche Feuerwehr den Havaristen sogar noch von außen ab. Gleichwohl ist am nächsten Tag noch eine gründliche Reinigung fällig: Räder abmontieren und Bremsen und Felgen vom Schmutz befreien.

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Terelj im strömenden Regen

Am Abend wollen wir eigentlich Rosmaries Geburtstag feiern – aber daraus wird nichts. Es zieht ein gewaltiges Gewitter auf und später schüttet es wie aus Kübeln. Auf der Zufahrtstraße bilden sich riesige Wasserlachen, die am nächsten Tag noch den Verkehr behindern. Erde und Kies ergießen sich auf die Fahrbahn. Zum Glück beruhigt sich das Wetter nach kurzer Zeit wieder langsam und wir genießen eine ruhige Nacht in klarer Bergluft auf 1.500 Metern Höhe.

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Naturstellplatz

Der morgendliche Blick aus dem Womo überrascht: Die Landschaft um unseren Stellplatz ist grandios. Wir stehen auf kleinen Kuppen mit einem tollen Blick auf die umliegenden Berge. Diese sind mit Zedernwäldern überzogen und auf den Weiden an den leicht abfallenden Hängen grasen Pferde und Rinder. Rundherum leuchten die weißen Yurten, die sich Touristen und Ausflügler aus Ulan Bator mieten können.

Das alles muss heute noch näher erkundet werden, denn diesen besonderen Ort werden wir erst morgen verlassen. Die Gruppenmitglieder schwärmen bewaffnet mit Rucksack, Wanderschuhen und -stöcken aus und erklimmen die Höhen rundherum. Immer wieder zeigen sich tollen Ausblicke auf unseren wunderschönen Stellplatz.

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Ochsenkarren & Co.

Auf einem kleinen Pass kommt uns fröhlich pfeifend ein Mongole auf seinem Pferd entgegen. Er führt einen Ochsen an einer Leine hinter sich her, der einen einachsigen Wagen zieht, an den noch ein Pferd gebunden ist. Die kleine Karawane bewegt sich auf einer schräg hängenden Fahrspur, die wohl nur für 4×4-Fahrzeuge befahrbar ist. Denkste! Kurz darauf tuckert eine Familie in einem alten japanischen Auto in schwerer Schräglage ans uns vorbei und holpert die ausgewaschene Spur bergabwärts. Unglaublich! Es kommt scheinbar nur auf das Fahrtalent an.

Am Abend steht ein kurzes Meeting an, auf dem kurz die Route nach Ulan Bator beschrieben wird. Die Sonne scheint und es ist warm. Die perfekten Bedingungen, um Rosmaries Geburtstag nachzufeiern: „Zum Geburtstag viel Glück“ mit vielstimmigem Gesang und Pferdekopfgeige.

Euer Team Berlin-Peking 2019

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